Titel der Sendung: WDR 2 Lesen <BR>
Autorin: Chloe Hooper <BR>
Titel: Der große Mann <BR>
Rezensent: Udo Feist <BR>
Datum der Sendung: 14.03.2016 <BR>
In Chloe Hoopers aufwühlender Reportage geht es um einen echten Fall und um harten Rassismus. "Der große Mann" ist fesselnd und bestürzend und ein herausragendes Buch - eine große Lesempfehlung!
Auf einer australischen Insel stirbt ein verhafteter Aborigine im Polizeigewahrsam. Der Schwarze sei gestolpert, sagt der weiße Senior Sergeant. Er ist der erste Polizist, der wegen solch eines Todesfalls vor Gericht kommt. "Der große Mann" erzählt die ganze Geschichte.
Tödliche Verhaftung
Palm Island ist ein Traum: Blassgrünes Meer, palmenbedeckte Küste, Riesenschildkröten. Als die Autorin Chloe Hooper 2005 dort ankommt, steht Palm Island aber gerade für etwas ganz anderes. "Verzweifelte Tropen" oder "Insel des Leids" lauteten die Schlagzeilen. Weil er angeblich einen Polizisten beleidigt hatte, war drei Monate zuvor ein Aborigine verhaftet worden. Wenig später lag er tot in einer Zelle, mit Verletzungen wie nach einem Autounfall oder Flugzeugabsturz. Der vom Staat bestellte Pathologe konnte kein Zeichen von Gewalt erkennen. Die Gemeinde sah das anders: Ein Mob fackelte die Polizeiwache und das Haus des Beamten ab.
Erstmals Polizist angeklagt
Chloe Hoopers aufwühlende Reportage "Der große Mann" erzählt von der Tat, tiefsitzendem Rassismus und dem Prozess gegen den weißen Polizisten. Erstmals wurde in solch einem Fall Anklage erhoben. In Polizeihaft gestorbene Aborigines hatte es schon oft gegeben, aber das wurde immer abgetan: Sind alles Trinker, gesundheitlich eh schlecht zurecht oder stolpern unglücklich, hieß es dann. Polizeiuntersuchungen verliefen stets im Sande. Da hackte eine Krähe der andern kein Auge aus.
Aborigines als Freiwild
Diesmal lief es anders. Rechtsanwälte engagierten sich, und Chloe Hooper begann mit ihrem Buch. Es ist eine Spurensuche, die weit zurück reicht. Aborigines wurden noch bis ins 20. Jahrhundert wie Freiwild getötet, und keiner fand etwas dabei. Dann wurde die Politik subtiler. Es gab Zwangsreservate, man nahm ihnen die Kinder weg. Auch auf Palm Island lebten solche gestohlenen Kinder im Heim. Redeten sie in der Muttersprache, wusch man ihnen mit Seife den Mund aus. Auspeitschen galt als normal. Unrecht mit sozialen Folgen bis heute: In Aborigines-Orten sind Alkoholismus, Gewalt und Perspektivlosigkeit weit verbreitet. Und der weiße Rassismus sitzt immer noch tief. Sehr tief.
Ein echter Krimi
"Der große Mann" zeigt die große Geschichte in dem Einzelfall. Chloe Hooper erzählt von der Verhaftung über erste Anhörungen bis zum Prozess. Sie sprach mit vielen Zeugen und schildert eigene Eindrücke. So entsteht ein Mosaik, das die Stimmung und die Situation intensiv miterleben lässt. Ein echter Krimi, fesselnd und auch bestürzend. Hooper sieht sehr genau hin, ist einfühlsam, stets um Fairness bemüht und nie plakativ. Doch ihr Fazit ist erschütternd: "Ich hatte mehr über mein Land erfahren wollen, und jetzt wusste ich mehr, als mir recht war", schreibt sie. "Der große Mann" ist ein herausragendes Buch. Große Empfehlung!
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Medienkennzeichen:
Romane
Jahr:
2016
Verlag:
München, Liebeskind
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ISBN:
978-3-95438-057-2
2. ISBN:
3-95438-057-9
Beschreibung:
364 S.
Originaltitel:
The Tall Man <dt.>
Mediengruppe:
Belletristik