Titel der Sendung: WDR 2 Buchtipp
Autor: Joseph O'Connor
Titel: In meines Vaters Haus
Datum der Sendung: 15.12.2023
Goran Vojnovic lässt seinen Helden Marco in die Trabantenstadt am Rand von Ljubljana zurückkehren. Aber dort ist nichts mehr, wie es war. Marco fühlt sich fremd und sehnt sich umso mehr nach Zugehörigkeit. Ein rasanter Roman über gesellschaftliches Außenseitertum und seine Folgen. Eine Rezension von Holger Heimann.
Nach fast zehn Jahren ist Marco wieder in Fužine, der Trabantensiedlung am Rand von Ljubljana, wo er aufgewachsen ist. Doch in Fužine ist nichts mehr, wie es war. Die Aufzüge in den Wohnblocks sind nicht mehr beschmiert, sondern so sauber wie geleckt. Seine Freunde sind Junkies oder zum Islam konvertiert. Die Gegend ist dem Heimkehrer fremd geworden.
"Ich gehöre nicht mehr hierher. Ich bin hier ein Außerirdischer, und es ist alles fürn Arsch. Überall bin ich ein Außerirdischer, aber dass ich in Fuz¿ine ein Außerirdischer bin, geht mir wirklich auf den Sack."
Marco ist ein Tschefur, das heißt einer von den Benachteiligten, die aus Serbien, Bosnien oder Montenegro nach Slowenien gekommen sind. Die letzten Jahre war er bei Verwandten in Bosnien. Aber auch dort hat er vor allem eines begreifen müssen, dass er nicht dazugehört. So sehr er sich auch bemüht hat, er ist immer der andere, der Fremde geblieben.
"Ich habe hundert Jahre gebraucht, um zu kapieren, dass ich Serbe bin und dass ein Serbe in Visoko der gleiche Scheiß ist wie ein Tschefur in Slowenien. Derselbe Scheiß, eine andere Verpackung."
Zugehörigkeit versus Fremdheit und die Suche nach einer Identität – das sind die wiederkehrenden Themen in den Romanen von Goran Vojnovic. Das hat biografische Gründe. Vojnovic wurde 1980 als Kind von Einwanderern, einer Kroatin und eines Bosniers, in Ljubljana geboren. Er ist selbst in der Plattenbausiedlung von Fužine großgeworden.
O-Ton Vojnovic:
"Diese Erfahrung, ein Kind von Migranten zu sein und in den Außenbezirken von Ljubljana aufzuwachsen unter vielen anderen Migranten, hat mich geprägt, kein Slowene zu sein in einer Zeit als es eine sehr starke nationale Bewegung gab. Ich schrieb den ersten Roman, um diese Welt zu zeigen."
Der erste Roman, das ist sein Debüt "Tschefuren raus!". Marco, dem wir in dem Buch erstmals begegnen, gehört zu einer Gruppe wütender, wurzelloser Vorstadtjungs. Je mehr diese sich an den Rand gedrängt fühlen, je mehr sie sich aufgrund ihrer Herkunft als sozial Benachteiligte begreifen, umso größer wird das Bedürfnis nach Abgrenzung und danach, sich als coole Jugogang Respekt zu verschaffen.
"Tschefuren raus!" wurde zu einem Kultroman, der das Lebensgefühl einer benachteiligten Minderheit in einer derben, rauen Sprache beschrieb. Warum aber nun eine Fortsetzung?
O-Ton Vojnovic:
"Ich kehrte zu ihm zurück, damit ich ausdrücken konnte, wie ich die Welt um mich herum seit fünf bis zehn Jahren erlebe, seit die Menschen über die Möglichkeit eines neuen Balkankonflikts reden, seit ethnische Spannungen wiederkehren."
Marcos Stimme ist abermals eine freche, laute Stimme, die der Übersetzer Klaus Detlef Olof mit viel Gespür und Wortwitz ins Deutsche gebracht hat. Der krasse, zuweilen auch enervierende Sound ist konstituierend für den Roman. Marco und seinen Freunden fehlt das Vokabular, um ihre Emotionen auszudrücken, Schwäche zu zeigen, ist verpönt.
o werfen sie mit Kraftausdrücken und Schmähwörtern um sich, die schockieren sollen, – auch und gerade, um die eigene Verletzlichkeit zu verbergen. Nuancen und Differenzierung sind nicht ihre Sache.
O-Ton Vojnovic:
"Ich bin nicht Marco Ðordic. Aber in Fužine gab es eine Menge Marcos um mich herum. Marco sieht die Welt schwarz-weiß, er hat keine Zweifel. Ich mag ihn, weil ich durch ihn einen Teil von mir sehr direkt ausdrücken kann. Deshalb bin ich zu ihm zurückgekehrt. Er bietet einen Ausweg aus dieser sehr komplexen, schwer zu greifenden Welt. Für ihn ist alles einfach: das sind die Guten, das sind die Bösen. Klar, seine Weltsicht ist beschränkt und nicht die ganze Wahrheit. Aber vielleicht kommt man so der Wahrheit näher, als wenn man versucht, alle Perspektiven aufzuzeigen."
Die Wahrheit des rasanten Romans, mit dem Goran Vojnovic eine bezwingende Fortsetzung gelungen ist, ist keine angenehme. Die Sehnsucht der Zugewanderten nach Zugehörigkeit bleibt ungestillt, sie stecken fest in ihrem Dasein als Tschefuren. Marco brüllt den Namen des Kriegsverbrechers Ratco Mladic. Er schreit Osama Bin Laden und Donald Trump – "alles derselbe Scheiß".
Es geht um Provokation und darum, sich der eigenen Identität zu vergewissern – in Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft. Es ist eine Identität, die auf einem aufgenötigten, radikalen Anderssein gründet. Ein Ausweg ist nicht in Sicht.
Verfasserangabe:
Joseph O'Connor ; aus dem Englischen von Susann Urban
Medienkennzeichen:
Romane
Jahr:
2023
Verlag:
München, C.H. Beck
Aufsätze:
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ISBN:
978-3-406-80684-1
Beschreibung:
381 Seiten
Sprache:
Deutsch
Originaltitel:
My father's house
Mediengruppe:
Belletristik